Alexander Tuchaček, paradise now 2.0, 2015. Videoinstallation mit Filmmaterial von paradise now - The Living Theatre, DVD von Marty Topp, 1968 - 2007


paradise now – Echos from the Future

2019. Ortsbezogene Installation und live performance am Symposium

Die Arbeit paradise now – Echos from the Future beschäftigt sich mit dem zerbrechlichen Zeitraum zwischen Aufbruch und Vereinnahmung von gesellschaftlichen Utopien. Anhand eines historischen Filmausschnitts der Theatergruppe „The Living Theatre“ aus dem Jahre 1968, werden die Besucher_innen Teil einer Wiederaufführung, in der Fragen nach einem heutigen Anschluss an Zukunftsentwürfe und Politiken des Körpers im postdigitalen Zeitalter gestellt werden.

Die postdramatische Theatergruppe „The Living Theatre“, gegründet 1947 in New York von Judith Malina und Julian Beck, entwickelte im Jahr 1968, dem Jahr der Studenten- und Anti-Kriegs-Proteste, das Stück „Paradise Now“, das auf dem Theaterfestival in Avignon am 24 Juli uraufgeführt wurde. Die als Kommune lebenden Theatermacher_innen hatten ihr Stück in acht „rungs“ angelegt, wobei in der letzten Spielszene (rung) das Stück auf die Strasse ausgeweitet werden sollte. Diese künstlerische Entgrenzung ihrer Aufführungspraktik (und Agitation) stiess jedoch auf staatsgewaltliche Zensur: „man habe sich jeder Ausdehnung des anvisierten Paradieses auf die ganze Stadt zu enthalten“. Das Stück wurde beim Theaterfestival in Avignon abgesetzt und die Gruppe musste die Stadt verlassen. Fast zeitgleich zur politischen Aufbruchssstimmung in Europa und den USA in den späten 1960-er Jahren wurden im Silicon Valley die ersten Versuche gestartet, Gemeinschaften über Telekommunikation herzustellen. Infolge entstanden die ersten Computer Netzwerke. 1968 entsteht das ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network), ein Vorläufer des Internets, das im Auftrag der US-Luftwaffe ab 1968 von einer kleinen Forschergruppe unter der Leitung des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und des US-Verteidigungsministeriums entwickelt wurde. Die kalifornische Gegenkultur der 1960er Jahre war nicht nur die Geburtsstunde der neuen linken Bewegungen und einer globalen Kulturrebellion, wie der Ökologiebewegung, der Konsumkritik, von Kampagnen gegen Rassismus und sexuelle Diskriminierung oder Militarismus. Die 1960er Jahre waren auch die Geburtsstunde des Techno-Kapitalismus, der Ideologie von Selbstverantwortung und Selbstregulierung sowie dem Internet-Neoliberalismus auf der Basis von Vernetzung und Vermarktung.

paradise now – Echos from the Future versucht zeitgemässe Fragen nach der Wirkmächtigkeit von Zukunftsentwürfen mit Hilfe der Theatertheorie, die sich mit der Geschichte des Verhältnisses von Text, Körper und Aufführung beschäftigt, im Ausstellungsraum neu zu inszenieren. Dabei werden theatrale Elemente, wie die Bühne, der Vorhang der aufgeht und Regieanweisungen zitiert. Doch anders als im klassischen Theater ist das Verhältnis von Text/Script und Aufführung nicht fest. Eine Infrarotkamera misst die Bewegungen von Besuchern und re-synthetisiert digital das historische Material in Sound und Bild. Die Dramaturgie setzt sich aus einzelnen Szenen zusammen, zwischen denen Regieanweisung und interaktive Teile abwechseln. Besucher_innen können Teil des Algorithmus werden, sich von Regieanweisungen leiten lassen oder das auch verweigern. Sie können das Verhältnis zwischen Geschichte, Bühne, Tribüne, Inszenierung, Aufführung, Text und Programmierung in fragilen Zusammenhängen erleben. Dabei stellen sich Fragen nach einer neuen Wiederholung von Geschichte und wie sich darin das Verhältnis von Text und Körper im postdigitalen Zeitalter durch eine dritte hybride Figur, wie die Algorithmen, die sowohl Text als auch Aufführung in sich vereinen und damit quasi körperliche Rollen übernehmen, verändert werden.

Bio

Alexander Tuchaček arbeitet als Teil der Künstlergruppe knowbotic research, wie auch als Einzelkünstler seit den 1990er Jahren an künstlerischen Strategien des Hackings und programmierten performativen (Medien)Formaten. Dabei werden taktische Formen der Mediennutzung als Selbstermächtigung und Mitsprache den gesellschaftlichen Machtverhältnissen in Form von Überwachung und Zensur entgegengesetzt. Zentrale Inhalte von Alexander Tuchačeks künstlerischer Auseinandersetzung sind Sichtbarkeit vs. Opazität und Formen der Beteiligung und (Mit)Sprache, die er mit Ton und Musik, Sprache und Stimmen, Computercode und Text sowie Installation und Performances bearbeitet.

tuchacek.net